Der Anfang entscheidet vieles. Das Unbewusste brauche
nur drei Tausendstelsekunden, um zu entscheiden, ob es ein Gegenüber
sympathisch finden will oder nicht, heisst es. Wie lange benötigen wohl
Schülerinnen oder Studierende, bis „es“ in ihnen weiss, ob sich Aufmerksamkeit für
die Lehrperson und später dann die Unterrichtssituation lohnt?
Redet man nicht gleich drauflos, kann ein Augenblick der
Stille entstehen, nachdem die Schülerinnen und Schüler zur Ruhe gekommen sind.
Der eine packt zwar noch seinen Kaugummi in ein Papierchen, die andere verstaut
ihr Handy in der Tasche, die an ihrem Stuhl hängt, aber es wird still. - Man schaut in die Klasse, begegnet den Blicken der
Jugendlichen, sagt nichts, wartet, spürt hin. Es bildet sich ein Moment, aus
dem heraus alles möglich werden könnte.
Dieser Moment ist enorm kostbar, denn in ihm lässt sich
die Klasse für sich und das Unterrichtsvorhaben gewinnen. Es braucht die Magie
dieses Augenblicks, damit sich ein Weg des Gelingens eröffnen kann. Es braucht
diesen Moment jedoch auch, damit sich alle verorten können im Raum und in der
Zeit, in der privaten Geschichte genau so wie in der je eigenen
Schulgeschichte. Um zu merken, ob man bereit ist für das, was jetzt kommt, oder
ob man sich erst erschliessen lassen muss dafür.
Als Lehrperson ist man vorbereitet, hat die Lektion
präpariert, ein komplexes Lehr-Lern-Arrangement gestaltet, im
Unterrichtsvorbereitungsheft kurz notiert; die Absicht ist klar, das Ziel
definiert, der Weg festgelegt. - Als Schüler ist man in der Regel einfach da und wartet.
Erwartet vielleicht. Die Ausgangspunkte von Lehrenden und Lernenden sind also mit
Sicherheit verschieden; es gilt den Punkt zu finden, wo sich alle versammeln
zum Anfang.
„Lehren beginnt nicht mit Reden, sondern mit Zuhören“,
haben Urs Ruf und Peter Gallin in ihrem 1990 erschienen Buch Sprache und Mathematik in der Schule. Auf
eigenen Wegen zur Fachkompetenz formuliert. Vielleicht darf man diesen Satz
übertragen auf diesen entscheidenden Augenblick des Anfangens und ihn etwas
ausweiten: Der von einer Lehrperson angeregte Lernprozess in der Schule bedarf
der sammelnden Stille, um wahrhaft beginnen zu können.
Viele Lehrende achten kaum auf einen guten Lektionsbeginn.
Sie treten wohl vorbereitet ins Zimmer, begrüssen zwar kurz, legen dann jedoch gleich los mit Reden und
Organisieren, Strukturieren und Erklären, neuerdings auch mit dem Aufstarten
der Geräte und dem Aufrufen von Powerpoint-Folien. Meist reden sie laut. Meist
deuten sie mit den Fingern. Selten aber schweigen sie. Der Part der Lernenden
kann in solchen Situationen nur noch darin bestehen, „nachzukommen“, die Pace
der Lehrperson mitzugehen, deren Absichten und Ziele stillschweigend (!) zu
übernehmen – oder aber innerlich aufzugeben, abzuhängen, schlimmstenfalls zu
verweigern und unter dem Tisch mit dem Verfassen von SMS zu beginnen.
Welche
Lehrperson fragt schon je ihre Studierenden, ob sie einverstanden sind mit dem
vorgesehenen Programm? der Wahl der Methoden? der Strukturierung der Zeit? der
Form der Ergebnisse? Wer versucht die Klasse zu gewinnen für ein
Unterrichtsvorhaben? Wer achtet darauf, dass man bereit werden könnte für das Anfangen?
2 Kommentare:
Lieber Theo, besten Dank für diesen Text, den ich im Herbst in den Fachdidaktikkursen zum Thema Unterrichtseinstieg aber auch zur Unterrichtsplanung mit Handkuss aufnehme. Weiterhin vielen Dank für die Aufbereitung und Darstellung der umfassenden Gedanken. Met beschte Grüess Peter Gloor
Danke, lieber Peter, für deinen Kommentar! Es freut mich, wenn (auch) solch kurze Lektionsphasen Thema sein dürfen in einem didaktischen Kolloquium.
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